Frau beim Stillen ihres Sohnes
Frau sein

„Stillen? Nein danke! – Und dann kam alles anders“

Am Anfang waren da die vielen „furchtbaren“ Berichte …. übers Stillen. Und dann kam alles anders.

Eine Kollegin erzählte, ihr Sohn hätte ihr wiederholt die Brustwarzen wundgebissen. Oder so heftig gesaugt, dass nur noch Blut kam. Natürlich nicht so kurz gefasst, sondern die Erzählungen waren „ausgebauter“. Eine Freundin erzählte, ihr wäre beim Stillen die Brustwarze umgeklappt. Eine andere, dass sie Probleme hätte, Ihre Brust zu zeigen – wie furchtbar das an sich ist. Meine beste Freundin hat (für sie) zu lange gestillt und regelrechte Depressionen oder Aggressionen deswegen bekommen. Und wenn frau keine Ahnung hat, hört sich das schon schlimm an.

Auch die Rolle der Sexualität in diesem Spiel machte mir zu schaffen… Meiner Sexualität. Zu allen anderen, egal zu wem. Das erste Mal Stillen auf dem Sofa und nicht in der Abgeschiedenheit des Kinderzimmers, meine Brust anders dargestellt als sonst „präsentiert“, guckten wir uns beide (Björn unser kleiner Sohn – natürlich nicht) etwas seltsam an. Mein Mann Peter war bemüht wegzusehen, um mich nicht zu beschämen. Und ich war bemüht, das nicht zu bemerken und ganz natürlich zu tun. Was selbstverständlich in die Hose ging. Mit einem kleinen Witz über die Funktionalität meiner Brust entschärfte Peter die Situation. Das vergess ich nie!

So beschloss ich während der Schwangerschaft, nicht zu stillen. Also informierte ich mich vorab überhaupt nicht über das Stillen.

Doch als der kleine Mann da war, auf meinem Bauch lag, merkte ich, dass ich das mit meinem Körper sehr wohl vereinbaren könnte und beschloss kurzfristig, doch zu stillen.

Ich entschied zu Stillen als Björn auf meinem Bauch lag

Als Björn auf meinem Bauch lag, was ging da in mir vor? Wirklich eine sehr schwierige Frage. Da gehört mehr Erklärung zu. Vor der Geburt hatte ich ziemlich Angst, mich der Hebamme, dem Arzt und überhaupt allen im Kreissaal in einer Stresssituation und auch noch nackt zu überlassen. Wenn ich von Geburten gehört oder gelesen hab, hörte sich das immer so an, als ob man als Frau aufhört zu existieren, sich der Welt komplett nackt präsentiert, nur noch Geburtsteilnehmer ist. Und dann auch noch den Rest meiner Würde aufgeben und Stillen – der einzige Teil meines Körpers, den niemand Fremdes während des Geburtsvorganges „benutzen“ darf. Ich hatte das Gefühl, als würden sämtliche Tabus, die so bestehen, durch eine Geburt ausgeschaltet. Mutterschutzuntersuchungen, Dammschnitt, Köpfchen-fühlen, aus der Gebärmutter den Rest des Mutterkuchens hervorholen (ist mir Gott sei Dank nicht passiert)…

Doch Björn lag klein und winzig auf meinem Bauch. Er war völlig nackt, klein, müde und vertraute mir einfach so. Während ich so eine Angst gehabt hatte, anderen zu vertrauen. Und auf einmal war es völlig normal, ihm alles zu geben, was er braucht. Das ist kein Nehmen von Björn, sondern ein Geben von mir. Das war der Unterschied, glaub ich.

Da an dem Morgen um die Kreissääle ein Auflauf von werdenden Müttern zu finden war und die Hebamme schwer im Stress war, vergass sie, das Anlegen zu erwähnen. Am 2. Tag nach der Geburt wurde ich dann gefragt, ob ich nicht stillen wollte. Wir hatten Glück, Björn wollte natürlich gern gestillt werden. Und nach 4 Wochen ging es sogar ohne Stillhütchen!

Ab dem Zeitpunkt fing ich an, Berichte in diverser Literatur zu lesen. Dort wurde die Problematik des Mannes bei dieser Tätigkeit angesprochen (und auch heftig dargestellt). Manchmal bin ich dabei doch recht nachdenklich geworden. Heute sag ich, wenn ich das vor der Geburt gelesen hätte, hätte ich sicher nicht gestillt.

Ich wurde damals von vielen Leuten mit Zeitschriften versorgt. Die meisten hab ich gleich zu Haus aussortiert. Es waren aber auch Sachen, die zwischen den Zeilen standen. Sicher weiss ich, von wem die Artikel verfasst sind, aber sie fruchten doch.

Im Buch „Milch die Babys brauchen“ von Nestlé z.B. die Überschrift – Jetzt kann der Vater füttern, nicht nur wickeln – …Väter entdecken beim Füttern, wieviel Zärtlichkeit man einem Kind geben kann… Da dachte ich, enthalte ich ihm was vor, wenn ich stille?? Kann er das nicht vorher entdecken?

Ein anderer Artikel von Humana „Unser Baby ist da – Ratgeber zum Stillen und fürs erste Lebensjahr“: „…Bei dieser Art Zweierbeziehung müssen sich Väter fast zwangsläufig fragen, wo sie bleiben und was für sie an Aufmerksamkeit und Liebe überbleibt… …Aber manche Reaktionen verraten doch die Zwiespältigkeit, die letztendlich verständlich ist… …Sie übernehmen zwar Babypflichten wie Wickeln und Baden, aber der richtige Spass kommt dabei nicht auf. Sie sind launisch und im wahrsten Sinne verschnupft. Der Wirrwarr der Gefühle kann auch Kopfschmerzen machen, oder Lust, für Stunden das Weite zu suchen, um sich bei Freunden oder Kollegen etwas Bestätigung zu suchen… Sicher ist Stillen einer Frau vorbehalten, aber es ist kein gutes Mittel, um machtvoll Weiblichkeit oder Opferbereitschaft zu demonstrieren…“ – mein Gott, ich still doch nur, das kann eine Beziehungskrise hervorrufen?!? Nun mal ehrlich, das hört sich – wenn man im Krankenhaus liegt, gerade anfängt zu stillen und nicht weiss, wie es zu Haus zu Dritt ist – schon etwas abschreckend an. Oder? Im Klartext versucht es zu vermitteln: ich stille, mein Mann ist nicht glücklich, mein Sohn hat keinen „richtigen“ Vater.

Mein Mann lernte, mich perfekt beim Stillen zu unterstützen

Natürlich daürte es sehr lange, bis Björn und ich aufeinander eingespielt waren. Die ersten drei Wochen unterstützte mein Mann mich mit allen Kräften. Stillte ich, bekam ich Nutella-Brot (er meint, ich inhalierte es). Zwischendurch wurde überprüft, ob ich auch genug getrunken hätte. Er las Artikel, besprach Problematiken mit seinen Vater-Kollegen und machte mich auf einige Sachen aufmerksam, die mir entgegangen wären. Das nahm mir die Verlegenheit, die doch immer noch aufkam, wenn ich in fremden Umgebungen stillte.

Heute achtet er darauf, dass wir, wenn wir unterwegs sind, genügend Stille zum Stillen haben. Dass Stilleinlagen am Bett liegen und die Zeiträume stimmen. Ohne diese Unterstützung hätte ich wohl die Wachstumsphasen nicht über“stillt“. Und durch das Stillen hat unsere Sexualität auch nicht gelitten.

Er sagt: „Das muss man(n) ganz natürlich sehen, wie den dicken Bauch in der Schwangerschaft.“ Und je öfter er mir das erzählt hat, um so besser kann und konnte ich auch mit der enormen BH-Grösse umgehen. Wenn ich mich heute mit Müttern austausche, deren Partner tatsächlich schwere Probleme mit dem Stillen haben, muss ich hier mal ein grosses DANKE an meinen Mann loswerden. Ich bin glücklich, dass das Wohl unseres Baby‘s einen so grossen Stellenwert in seinem Leben einnimmt. Sicher hatten wir die erste Zeit Probleme, wenn ich auf dem Sofa sass, mit einem saugenden Baby an meiner Brust. Doch mit einigen Witzen darüber ist die Verlegenheit verflogen.

Eines hab ich noch: Dass eine Generation hinter uns immer meint, wir stillen wie sie, ärgert mich mittlerweile. Leider versteht aus der Eltern-Generation keiner, dass ich stille, weil Björn und ich es wollen. Oder das Aufpassen aufs Essen: „Wir hatten ja nichts im Krieg. Wenn ich Bohnensuppe gegessen hab, haben die Kinder ein Kernseifenzäpfchen bekommen…“ Und dann die netten Blicke und Bemerkungen hinter mir, wenn ich das Essen sondiere und mit Peter die Inhalte tausche.

Ständig kommen Kommentare: „Gibst Du ihm noch keinen Möhrensaft?“, “ Wir hatten ja nach dem Krieg nichts und mussten stillen (fragender Blick – und Du??)“, „Du musst ihm doch Tee geben!“, “ Isst er denn jetzt schon „richtig“?“, “ Schläft er schon durch?“ – wie gesagt, seit 24 Wochen wird er im äussersten Fall alle 4 Stunden, normal alle 2 Stunden gestillt. Dass Björn dabei weiterschläft, zählt nicht?, „Er ist halt verwöhnt, wir haben ja nur alle 4 Stunden gestillt.“, „Stillen ist ja auch so viel billiger.“, „Na ja, Du hast ja auch einige Allergien, da musst Du ja stillen.“, „Er muss doch mal was anderes trinken und nicht immer einen Milchbelag auf der Zunge haben.“, „Und wie lange willst Du noch stillen?“ – Weiss nicht, mal sehen, wann einer von uns keine Lust mehr hat, „Also unsere haben ja von Anfang an eine Flasche bekommen, mit Möhrensaft drin.“ – bedeutender Blick, weil das ja „gesünder ist“.

Wie geht Ihr als Langzeitstillmamis damit um? Je länger ich stille, desto seltsamer werden die Fragen oder Bemerkungen.

Heute bin ich wirklich stolz auf uns. Dass Peter so gut klar kommt, dass Björn so gutgenährt ist und dass ich überhaupt kein Problem hab, in Restaurants zu stillen. Es war halt nur das erste Mal… Danach war ich immer furchtbar stolz, wenn ich sagen konnte, ich stille voll. Oder wenn es für Björn heute ganz normal ist, sich an die Brust zu drehen und durch das T-Shirt versucht, doch noch einmal ein bisschen Liebe zu bekommen. Wenn er nachts im Bett liegt, trinkt und schläft, ich sage, komm wir tauschen, und Björn die Brust loslässt und sich auf die andere Seite dreht, wo gleich wieder meine Brust ist…

Heute nach 5 Monaten bin ich froh, noch zu stillen. Das Wissen, was wirklich Gutes für Björn tun zu können. Ich allein, mit meinem Körper. Und dass Björn das auch sichtlich geniesst, muss ich wohl nicht extra erwähnen…

Entdecke mehr von Hebammerei Berlin

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen