Langzeitstillende Mutter mit Kind bei der Arbeit
Kleinkind

Langzeitstillen und Berufstätigkeit

Seit unsere Tochter Linda C. 11 Monate alt ist, gehe ich wieder arbeiten – täglich von 8 bis 14 Uhr. Ich hatte mich gegen das Langzeitstillen entschieden, weil der Erhalt meiner Arbeitsstelle als Schwangerschaftsvertretung davon abhing. Ausserdem glaubte ich, Kind + Job leicht miteinander verbinden zu können, so wie es mir bei unserer ersten, heute 18 jährige Tochter damals auch gelungen war.

Bereits 7 Wochen vor Arbeitsantritt habe ich mit ihrer Eingewöhnung bei der Tagesmutter begonnen und mit meinem Arbeitgeber die Frage der Stillpause geklärt.

Die Tagesmutter wohnte 5 Autominuten von meiner Arbeitsstelle entfernt, so dass ich täglich zwischen 10 und 11 Uhr zu Linda C. fahren konnte und sie stillte. Für alle war das eine akzeptable Verbindung von Job und Langzeitstillen. Ausgenommen zwei Arbeitskollegen, die u.a. meinten: „Ich habe meine Kinder nicht gestillt, und sie sind auch gesund …“ oder „Sie geniessen hier ein Privileg und da müssen Sie auch mal … “ (das kam interessanterweise von einem Mann, dessen Frau nur kurz stillte und seit dem 1. Kind nicht arbeiten geht).

Stillpause erlaubt Langzeitstillen

So dauerte mein Arbeits-Stillglück nicht lange, zu Linda’s 1. Geburtstag wurde mir von o.g. Kollegen mitgeteilt, dass die Stillpause laut Gesetz (bzw. Anhang zum Gesetz) jetzt nicht mehr gewährt werden muss und ich sie deswegen auch nicht mehr nehmen könne. Nach viel Aufregung und Gesprächen einigten mein Chef und ich mich auf eine kulante Regelung: Ich nehme weitere 3 Monate eine Pause für das Langzeitstillen, danach besprechen wir die Situation neu.

Aber genau in diesen Wochen wurde Linda’s Bedürfnis nach der vormittäglichen Stilleinheit immer kleiner. Linda hatte gelernt, mit den anderen Kindern zu essen. Ende 14. Monat war es soweit, dass ich mehr beim Spielen störte als sie durch die Brust zu erfreuen. Oft stillte ich gar nicht mehr, sondern fuhr nach 20 Minuten „Spielbeobachtung“ wieder zur Arbeit. So fiel es uns beiden gar nicht schwer, nach dem 15. Monat ganz auf das Langzeitstillen zu verzichten.

Sie hatte auch gelernt, was ich mir ebenfalls vorher nicht vorstellen konnte, ohne Brust oder Getragenwerden einzuschlafen. Anfänglich legte die Tagesmutter sie in einen Kinderwagen (den Linda von Spaziergängen mit ihr kannte) und schob diesen hin und her, später konnte sie Linda direkt ins Bett legen – und Linda schlief allein ein (das tut sie heute zu Hause übrigens immer noch nicht) .

Eine grosse Herausforderung an uns stellten die Nachmittage und Nächte während der ersten 18 bis 24 Arbeitsmonate. Linda war ein sehr bedürftiges Kind, was ich im ersten Lebensjahr nicht so störend empfand und später auch erst durch das Buch „Das 24 Stunden-Kind“ liebevoll akzeptieren konnte. Der Weg dahin war ziemlich schwierig und teilweise nervenaufreibend, ob das nun an meiner frühen Arbeitsaufnahme lag, vermag ich immer noch nicht genau zu sagen.

Sie war nachmittags sehr anhänglich und wollte oft sehr lange gestillt werden. Irgendwann beschloss ich, mir gar keine Termine wie Besuche von Krabbelgruppe oder Freundin vorzunehmen, sondern bestenfalls spontan irgendwo hinzugehen. Als Wichtigstes wollte ich ihr diese nachmittäglichen Stillmarathone ermöglichen. Ich hatte nämlich erkannt, dass sich dieses Bedürfnis nicht anders erfüllt oder „in Luft auflöst“. Es wurde höchstens verstärkt und auf später verschoben – also nachts eingefordert. Allerdings waren auch die Nächte nach langen Still-Nachmittagen nur selten erholsam. Linda schläft zwar in unserem Bett, doch wie oft wurde sie abends wieder munter, wie oft wollte sie sich auch nachts stillen! Heute weiss ich, dass es vielen Müttern, die Langzeitstillen, wie mir geht, doch einige können die Schlafeinheiten ihres Kindes am Tage nutzen und selbst Schlaf nachholen. Das gelang mir natürlich nicht.

Überrascht wurde ich während der ersten Wochen in meinem Beruf davon, dass ich plötzlich viel mehr „leichte“ Fehler machte als vorher. Manchmal stand ich ziemlich neben mir und konnte nicht drei Dinge gleichzeitig „auf die Reihe bekommen“. Ich selbst fühlte mich dabei nicht schlecht oder überfordert, nur andere meinten, ich sei früher viel belastbarer bzw. leistungsfähiger gewesen. Mit viel Willensanstrengung und Selbstdisziplin konnte ich diesen Zustand verbessern. Mit dem Ergebnis, dass mein Mann sich über „Nachlässigkeiten“ im Haushalt beschwerte und unsere grosse Tochter meinte, ich würde mich gar nicht mehr so viel und lieb um sie kümmern wie früher … die Gesamtmenge meiner Kraft konnte ich also nicht erhöhen, doch ich musste lernen, sie neu einzuteilen.

Insgesamt muss ich heute einschätzen, dass die Rückkehr in meinen Beruf, den ich schon immer sehr mochte, meinem Selbst(wert)gefühl gut getan hat. Doch die Konzentration auf Kind mit Haushalt UND Beruf kostet auch sehr viel Kraft und bringt zahlreiche Augenfältchen mit sich. Ausserdem muss ich heute manchmal beobachten, dass ich tageweise nie genug bekommen kann von meiner Linda und oft ein unterschwelliges schlechtes Gefühl habe, wenn ich nicht jede freie Minute neben dem Job mit ihr zusammen bin. Zu jeder Zeit allerdings bin ich glücklich und schätze es sehr hoch ein, dass wir unser „Getrenntsein durch die Arbeit“ mit dem Stillen kompensieren können. Linda wird den Zeitpunkt des Abstillens sicher irgendwann selbst bestimmen – und auch auf diese Phase unserer Stillbeziehung freue ich mich sehr.

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